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May 16, 2017

Venedig – vom Aussterben bedroht?

Das fragile Öko-System der Lagune von Venedig wird von den Kreuzfahrt-Schiffen massiv bedroht. ©bass_nroll
Jane de Mosto plädiert für eine Einschränkung des Massen-Tourismus. ©Giulio Gigante
Wenn die Lagune nicht geschützt wird, sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen.
Die Serenissima ist eine der größten Hot-Spots des weltweiten Massen-Tourismus. ©Alessandro Corona-
Umweltwissenschaftlerin Jane da Mosto, Mitbegründerin von We are here Venice. ©Pierangelo da Mosto

Jane de Mosto wurde mir vor ein paar Monaten auf einem Kunst-Event vorgestellt. Nachdem sie ihren Abschluss in Zoologie an den Universitäten von Oxford und am Imperial College in London machte, gilt sie weltweit als eine der führenden Expertinnen für Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimawandel.
Wir verstanden uns auf Anhieb, und bei einem Glas Wein erzählte sie mir alles über ihren beruflichen Werdegang sowie ihr Engagement für Venedigs außergewöhnliches Ökosystem und Erbe.

Nach ihrem Studium arbeitete Jane zunächst in London in einer Unternehmensberatung für Risiko-Kapital, bis sie sich schließlich einer Umweltschutz-Gruppe der Eni Enrico Mattai Stiftung in Mailand anschloss. 1995 ging sie nach Venedig, um sich in einer ganzen Reihe von Organisationen zu engagieren. Bei lokalen NGO’s , beim Internationalen Biosphären-Programm, beim Territorial Review Programm der OECD und beim Venedig-Programm der Vereinten Nationen, um nur einige zu nennen.

Der Wendepunkt kam 2012, als Jane mit ihren Mitstreitern We Are Here Venice gründete, eine NGO-Initiative, die sich darauf spezialisierte, mit bestmöglichster Forschung und Methodik die Herausforderungen des Ökosystems Venedig zu charakterisieren. Kurz gefasst: We Are Here Venice stützt sich auf ein riesiges Network von Bürgerinitiativen und Basis-Bewegungen, um alle Fakten der Stadt und ihrer Lagune zu sammeln. Ziele sind, die bestmögliche wissenschaftliche Analyse dieser Daten zu erstellen, um die Öffentlichkeit zu informieren, wie es um Venedig bestellt ist. Denn die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos.

Vor ein paar Wochen habe ich meine Freundin Katja Meier gebeten, Jane zu treffen und sich über die aktuellen Probleme Venedigs zu informieren.
Katja ist Schriftstellerin, ich habe sie kürzlich hier im Blog vorgestellt.

Katja – Jane, du bist Umwelt-Wissenschaftlerin und hast Dein halbes Leben hier in Venedig gelebt. Könntest du unseren Lesern bitte erzählen, warum der Schiffsverkehr in Venedigs berühmter Lagune gestoppt werden muss?

Jane – Die Lagune ist ein höchst empfindliches Ökosystem. Das größte Feuchtgebiet Italiens mit dem artenreichsten Vogelbestand des gesamten Mittelmeers. Es gibt hier Pflanzen, die nirgendwo sonst gedeihen. Außerdem ist de Lagune ein natürlicher Schutz Venedigs. Die Kreuzfahr-Schiffe bedrohen das Ökosystem der Lagune und damit Venedig. Wenn wir die Lagune nicht schützen, dann werden wir das Huhn schlachten, das goldene Eier legt. Oder den Ast absägen, auf dem wir sitzen.

Katja – Was wird momentan dagegen unternommen?

Jane – Das Problem wird schon seit Jahren diskutiert. Eine Schiffskatastrophe – der Untergang der Costa Concordia vor San Giglio in der Süd-Toskana im Winter 2012 – war der traurige Anlass, der die Regierung zwang, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Vor 5 Jahren wurde ein Gesetz unterzeichnet, das Kreuzfahrt-Schiffen das Anlegen vor der Piazza San Marco verbietet.

Katja – Aber das tun sie doch noch immer, oder?

Jane – Ja, leider. Es wurde festgelegt, dass das Verbot erst in Kraft tritt, wenn es eine alternative Anlegemöglichkeit für die Schiffe gibt. Die wurde allerdings noch nicht gefunden. Eine der Lösungen war der Vorschlag, neue Kanäle auszubaggern – was schrecklich für das gesamte Ökosystem wäre. Es gibt ein paar bessere Vorschläge, aber die Diskussion ist zäh und zieht sich hin. Und die Schiffe legen weiterhin an.

Katja – Könntest Du Dir einen Schiffstourismus vorstellen, der Venedig und seine Lagune nicht bedroht?

Jane – Natürlich! Venedig ist eine Wasserstadt, hier bewegt man sich traditionell auf dem Wasser fort. Mit Ruder- oder Segelbooten. Aber die Schiffe müssen sich Venedig anpassen, nicht umgekehrt. Binnenschiffe, auch Luxusyachten sind völlig ok, aber nicht diese riesigen schwimmenden Apartment-Häuser.

Katja – Du hast darüber eine Reportage geschrieben für die Venice in Peril-Stiftung, die sich seit der Flutkatastrophe 1966 um Restaurierung der Stadt kümmert. Außerdem bist du Mitbegründerin von We Are Here Venice. Was kannst Du uns zu diesen Organisationen sagen?
Jane – Die Venice in Peril-Stiftung entschied sich vor kurzem, die Erhaltung der Baudenkmäler in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist natürlich wichtig. Allerdings müssen wir auch dringend etwas dafür tun, um Venedig als Stadt lebendig zu erhalten. Wir brauchen die besten Köpfe, um den Problemen des Massentourismus Herr zu werden. Sicher haben auch andere Stadtzentren diese Probleme, aber in Venedig ist es besonders schwerwiegend, wegen der einzigartigen Bauweise dieser Stadt. Wir brauchen noch mehr Informationen und noch mehr Hilfe von Forschungseinrichtungen, um die negativen Auswirkungen des Tourismus in den Griff zu bekommen. We Are Here Venice arbeitet deshalb mit Bürgerinitiativen und Umweltaktivisten. Alle brauchen bessere Fakten, Zahlen und Daten, um sich bei der Politik besser Gehör zu verschaffen.
Da Venedig ein Hotspot des weltweiten Tourismus ist, sollte es auch Vorkämpfer sein gegen seine negativen Auswirkungen. Kreuzfahrt-Schiffe sind da nur ein Teil des Problems, aber ein unübersehbares von hoher Symbolkraft. Wir brauchen vorausschauende Ticket-Systeme und visionäre Software-Programmierer, um die vielen Probleme in den Griff zu bekommen. Firmen, die sich mit der Technologie des Tourismus beschäftigen, sollten ihren Sitz in Venedig haben. Wo können sie die Auswirkungen ihrer Arbeit besser studieren? Wenn wir Leute auf den Mond schicken, sollten wir doch bitte in der Lage sein, patente Lösungen für Venedig zu finden.

Katja – Im Gegensatz zu anderen italienischen Städten bietet Venedig ein weites Feld für zeitgenössische Kunst – die Biennale, Palazzo Grassi, die Punta della Dogana, um nur einige zu nennen. Die historischen Städte Italiens wurden nun aufgefordert, mehr in aktuelle Kultur zu investieren, um die jungen Leute abzuhalten, wegzuziehen. Ist das Konzept in Venedig aufgegangen?

Jane – Bei deiner Aufzählung hast du das Guggenheim Museum vergessen: es hat die höchste Besucherzahl aller modernen Museen Italiens. Das ist sehr wichtig, zeigt es doch, dass Venedig eine moderne Stadt ist, zukunftsgewandt, und nicht nur eine alte Dame mit langer Geschichte. Trotzdem ist das nicht die einzige Lösung. Mein Sohn ist jetzt 20 und ich wünschte mir, dass er in unserer Nähe bleibt. Aber wenn er nicht als Kellner oder Verkäufer arbeiten möchte, hat er kaum Möglichkeiten. Venedig bietet viel Lebensqualität, doch um junge Leute in der Stadt zu halten, bräuchte es mehr Abwechslung im ökonomischen Angebot.

Katja – Abgesehen davon, dass man nicht als Kreuzfahrt-Tourist anreisen sollte – was würdest Du Leuten empfehlen, die Venedig verantwortungsvoll besuchen möchten?

Jane – Passen Sie sich den örtlichen Gepflogenheiten an. Essen Sie keine Pizza, probieren Sie lieber die lokalen Spezialitäten. Besuchen Sie die Museen und die zahlreichen Veranstaltungen. Kommen Sie nicht nur für ein, zwei Tage: je länger Sie bleiben, desto mehr werden Sie Venedig und seine ruhige Lebensweise schätzen. Und versuchen Sie, früh aufzustehen, um den Zauber des venetianischen Lichts zu genießen. Die Morgendämmerung in der Serenissima ist atemberaubend!

Katja – Danke für Deine Zeit, Jane!

Jane – Es war mir ein Vergnügen, Katja.
Jane und Katja, mille grazie Euch beiden, Katharina

 

Katharina's Italy

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Kunst & Kultur, Venetien